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Starke Einigkeit statt Unterschiede

Aktualisiert: 6. März 2022

Interview mit der ukrainischen Roma-Aktivistin Zola Kondur

Die ukrainische Romni und Bürgerrechtsaktivistin Zola Kundur (45) ist am 23. Februar von Kiew nach Berlin gereist, um ihren Sohn zu besuchen. Einen Tag später beginnt ein erbitterter Krieg in ihrer Heimat, der ihr die Rückreise unmöglich macht. Seitdem versucht die gebürtige Kiewerin von Berlin aus Hilfe für ihre Landsleute zu organisieren, Menschen die Flucht zu ermöglichen und die internationale Öffentlichkeit über die tatsächliche Lage im Land zu informieren.


Wir haben sie in Berlin auf einen Tee in der Wohnung getroffen, in der sie vorübergehend bei einem Freund unterkommt. Sie wirkt aufgeräumt und lässt sich nicht von den Vibrationen und wechselnden Klingeltönen, mit denen ihr Handy auf sich aufmerksam macht, aus der Ruhe bringen. Dreimal unterbrechen wir unser Gespräch für kurze Telefonate mit Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze und einem Bekannten, der eine Videonachricht für eine UN-Sitzung vorbereitet.


 

Warum sind Sie aus der Ukraine nach Berlin gekommen?


Kondur: Meine Idee war es nach Berlin zu kommen, um meinen Sohn zu besuchen, solange das noch möglich ist. Der 23. Januar war noch ein normaler, ruhiger Tag, als ob niemand über den Krieg nachdachte. So bin ich wie zu jeder anderen Reise ohne größere Überlegungen mit einem Direktflug von Kiew nach Berlin gekommen. An der Grenze fragte man mich noch, wie lange ich plane in Berlin zu bleiben. Mein Plan war es am 05. März wieder zurückzureisen.


Einen Tag später, als die Invasion begann, hat meine Familie versucht Kiew zu verlassen, und sie haben allein vier Stunden damit verbracht aus der Stadt zu kommen, weil sehr viele Autos die Straßen blockierten, Panik herrschte und alle auf einmal loswollten. Aber niemand war vorbereitet auf diesen Krieg, bis zuletzt hat niemand an die Invasion geglaubt. Die Leute haben keine Vorräte an Wasser, Reis oder Fleisch zu Hause gehortet. Ich hatte mir im Supermarkt einen Kuchen gekauft. (lacht)


Also sind Sie mit normalem Reisegepäck für einen Urlaub in Berlin angekommen?


Kondur: Ja, ich habe nur ein paar wichtige Dokumente meines Sohnes nach Berlin mitgebracht, die mein Sohn im Falle eines Krieges lieber hier in Berlin bei sich haben sollte. So habe ich aber nichts Besonderes von meinen Sachen mitgebracht.


„Ich begann sofort Freunde und Familie anzurufen, um sie aufzuwecken und ihnen zu sagen, dass sie umgehend Kiew verlassen müssen.“

Wie geht es Ihnen nun hier in Berlin, nachdem die Invasion in der Ukraine begonnen hat und sie das Geschehen nur aus der Distanz verfolgen können?


Kondur: Ich wachte am 24.02. am Morgen um vier Uhr Berliner Zeit auf, in der Ukraine war es bereits fünf Uhr, und checkte die Nachrichten. Ich war schockiert. Ich begann sofort Freunde und Familie anzurufen, um sie aufzuwecken und ihnen zu sagen, dass sie umgehend Kiew verlassen müssen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich an diesem Tag etwas gegessen oder getrunken habe. Es war sehr schwierig.


Aber es war nichts im Vergleich zu der Zeit als sie [das Russische Militär] mit den Bombardements in Kiew und Charkiw anfingen. Ich kenne sehr viele Leute, die in den Regionen Donezk und Luhansk leben. Diese haben die Kämpfe als erstes mitbekommen. Einige Dörfer der Grenzregion in der Nähe der Kontaktlinie wurden komplett zerbombt und existieren nicht mehr.


Die Territorialen Verteidigungskräfte der Ukraine, welche die Städte verteidigen sollen, haben auf Facebook gepostet, dass sie versuchen einen Grünen Korridor für die Evakuierung der Bevölkerung einzurichten und haben auch die russische Seite gebeten den Beschuss im Grünen Korridor einzustellen. Aber die Russen haben sich nicht darangehalten und während der Evakuierung auf die Busse mit Zivilisten gefeuert – unter ihnen auch Kinder. Es gelang einige Menschen zu evakuieren, aber viele Menschen haben es auch nicht in Sicherheit geschafft. Dies zeigt das unmenschliche Gesicht dieser russischen Armee und Putins.


Wie stehen Sie mit ihren Bekannten und ihrer Familie in Kontakt?


Kondur: Sie schaffen es aktuell noch Internet zu haben. Also sind wir nun in Millionen von Chat-Gruppen. Es ist so, als ob du mit einem Mal deine Augen öffnest und plötzlich in all diesen Gruppen bist für Unterstützung allgemein, andere für Roma, für NGOs, für internationale Organisationen, und dabei wiederum unterschiedliche Kategorien von Untergruppen zur Koordination. Das erlaubt uns sehr schnell Informationen auszutauschen und uns zu organisieren. Wenn irgendwo der Sprit für die Panzer ausgeht, gibt es direkt dazu einen Aufruf. Leute posten zu allen möglichen Dingen.


Was können Sie von hier aus für Ihre Leute in der Region tun?


Kondur: Wir haben immer noch eine Reihe an Leuten im Land und ein Netzwerk an Partnern in der Ukraine und Nachbarländern. Viele wollen vor Ort bleiben, um ihre Häuser und Städte zu verteidigen. Aktuell z.B. sind 30 Menschen in Beregovo, die versuchen zur Grenze zu gelangen, aber kein Geld für den Transport mit einem Taxi haben. Wir können in so einem Fall die Fahrtkosten übernehmen. Außerdem vermitteln wir Kontakte zu rumänischen und ungarischen NGOs, welche den Menschen helfen können, sobald sie es bis zur ukrainischen Grenze geschafft haben. Wir transferieren auch Geld, um die Armee zu unterstützen und unterstützen die humanitäre Hilfe mit z.B. Nahrung und Medikamenten für belagerte Städte wie Charkiw und Mariupol. Und wir vermitteln Informationen nach außen.


„Es gibt eine starke Einigkeit, in der man zusammensteht, um das Land zu verteidigen. Die Ethnie, die Religion und andere Unterschiede spielen aktuell überhaupt keine Rolle.“

Die Situation von Menschen mit Romanes-Hintergrund in der Ukraine ist zum Teil sehr schwierig. Probleme sind extreme Armut, Segregation und starker Antiziganismus in der ukrainischen Gesellschaft. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Pogromen von rechten Gruppen gegen Roma-Siedlungen. Spielt dieser Hintergrund eine Rolle im derzeitigen Kriegszustand?


Kondur: Nein, denn in diesem Krieg sind wir alle in der gleichen Situation, wir sind alle in Gefahr. Russland attackiert die Ukraine und seine Bevölkerung und Roma sind auch ukrainische Bürger. So war es 2014 am Maidan Platz, so war es bei der Besetzung der Krim, im Donbass und so ist es auch jetzt. Es gibt eine starke Einigkeit, in der man zusammensteht, um das Land zu verteidigen. Die Ethnie, die Religion und andere Unterschiede spielen aktuell überhaupt keine Rolle.


Schwierigkeit bestehen für jene, die keine Ersparnisse haben. Für sie ist es besonders schwer aus dem Land zu kommen. Diese Familien können sich die Flucht nicht leisten. Gleichzeitig hat die Regierung Evakuierungen per Zug organisiert und diese Züge sind kostenlos, sodass jeder sie nutzen kann, um in die Westukraine und nach Polen zu kommen.


Was ist die größte Herausforderung für die Menschen, um den Weg an die Grenze zu schaffen?


Kondur: Das ist recht unterschiedlich, für manche ist es trotz eines Autos und Geld sehr schwer an Benzin zu kommen. In anderen Fällen sind die Straßen zerstört und müssen umfahren werden. Russische Truppen zerstören gezielt die Straßen und Brücken in Richtung Westukraine. Deswegen ist der Weg zur westlichen Grenze über Umgehungsstraßen und Dörfer mittlerweile viel länger.


In den sozialen Medien gibt es vielfach Anklagen gegen den ukrainischen Grenzschutz, dass Schwarze Menschen an der Ausreise gehindert worden seien. Ebenso gibt es Beschwerden von Szenen rassistischer Gewalt und Diskriminierung bei polnischen Grenzschützern. Haben Sie Ähnliches berichtet bekommen?


Kondur: Ich habe ebenso von diesen Vorfällen an der ukrainisch-polnischen Grenze und den ausländischen Studenten gelesen. Meines Wissens nach konnten diese in weiteren Berichten aber nicht klar bestätigt werden. Man muss verstehen, dass alle Menschen, die es zur Grenze schaffen und raus wollen, unter schrecklichem psychischen Stress stehen. Dort gibt es viele Frauen mit Kindern, schwangere Frauen und kranke Menschen. Es gibt Geschrei und Gedränge und die Menschen sind in einer Situation, die sich nicht immer klar durchschauen lässt.


In den Statements der EU Institutionen wird recht klar gesagt, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Papieren, die Möglichkeit zur Einreise bekommen. Gestern wurde im Berliner Senat ebenso entschieden, dass geflüchtete Menschen aus der Ukraine unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Aufenthaltsstatus in Berlin Schutz finden können. Das ist mir wichtig, denn gerade auch für einige ukrainische Roma, die komplett ohne Ausweisdokumente oder ohne internationale Reisedokument fliehen, wäre die Flucht sonst sehr schwierig geworden. Über genau diese Fälle haben wir uns von Tag eins des Krieges anSorgen gemacht.


Es ist unglaublich die Unterstützung der Nachbarländer der Ukraine in dieser schwierigen Lage zu sehen. Wie offen sie unsere Menschen akzeptieren und ihre Grenzen öffnen. Vielleicht haben sie die Gefahr erkannt, die von Russland ausgeht.


Neben den zahlreichen Solidaritätserklärungen mit der Ukraine versuchen viele Menschen in Deutschland derzeit der Ukraine auch konkret zu helfen. Welche ist die beste Art die Ukraine aktuell zu unterstützen?


Kondur: Wir können über mindestens zwei Arten sprechen. Das Beste ist natürlich, wenn der Krieg über diplomatische Kanäle gestoppt werden kann. Ob das nun durch Sanktionen oder auf anderem Wege realistischer ist, weiß ich nicht. Aber genauso müssen wir die russische und belarussische Bevölkerung motivieren auf die Straße zu gehen, ihre Meinung zu äußern und keine Angst zu haben im Gefängnis zu landen. Wenn die Menschen sich in großer Zahl organisieren, können die Behörden nicht Millionen Bürger gleichzeitig einsperren. Und genauso ist es in Belarus. Die Leute sitzen zu Hause und warten bis der Krieg vorbei ist.


Die Solidarität und die vielen Demonstrationen, die die Menschen in den Ländern der EU organisieren, sind wunderbar und sehr wichtig. Ich glaube es hat den Regierungen geholfen so harte Sanktionen tatsächlich zu beschließen.


Und natürlich ist die Mobilisierung von Ressourcen gerade wichtig. Es gibt viele Dinge, die in der Ukraine zum Leben benötigt werden, unter anderem auch Geld. Der Staat hat selber Spendenkonten für die Unterstützung der Armee eröffnet. Ebenso haben viele Charity-Organisationen zu Spenden aufgerufen.


Wenn Sinti und Roma gezielt Angehörige der Minderheit unterstützen wollen, so geht dies auch über den Spendenaufruf, der vom ERGO Netzwerk, unserer ukrainischen Organisation, der Roma Womens Foundation Chirikli, zusammen mit anderen internationalen Aktivisten gemacht wurde.


 

Das Interview wurde von Jochen Eisenburger im Auftrag der BVSR geführt.

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